Stell dir vor, eine künstliche Intelligenz entscheidet darüber, ob und wie gut du in ein Unternehmen passt. Was sich nach Science-Fiction anhört, wird bereits zur Realität: Sprachanalysesoftware wird früher als gedacht als Recruitingtool eingesetzt. KI im Online Assessment ist die Zukunft.

So verändert künstliche Intelligenz den Recruiting Prozess

Sprachanalyse im Recruiting Prozess

Beim Versicherungsdienstleistung Talanx erwartet die Bewerber kein klassisches Bewerbungsgespräch. Stattdessen erzählt man beim Erstkontakt 15 Minuten lang darüber, wie man sich seinen schönsten Tag vorstellt. Am anderen Ende der Leitung sitzt auch kein Personaler und hört gespannt zu — sondern eine Künstliche Intelligenz. Die deutsche Sprachanalysesoftware Precire nimmt den Monolog auf und zerlegt ihn in seine Bestandteile: Wie oft nutzt der Kandidat welche Wörter? Wie strukturiert sind die Sätze formuliert? Welche Form nimmt die Sprache an? Das sind nur einige Testparameter. Die gesammelten Daten werden mit Persönlichkeitsstudien abgeglichen. So soll die Maschine die Persönlichkeit und damit die Eignung auf den jeweiligen Job ad hoc erkennen können. Ob das wirklich klappt?

Die Gründer von Precire sind sich sicher: Artifizielle Intelligenz (AI) ist die Zukunft vom Personalwesen.

Jedes Gespräch wird auf über 500.000 Merkmale untersucht. Der Vergleich mit etlichen Studienergebnissen soll tatsächlich einschlägige Aussagen darauf geben können, wie es im Inneren des Bewerbers aussieht. Somit lassen sich Trugschlüsse auf den Charakter durch gelerntes Verstellen bei der ersten Begegnung ausfindig machen. Dass gerade eine Maschine den objektiven Teil der Beobachtung eines Kandidaten übernimmt, ist fast satirisch. Schließlich sollte gerade dies dem Menschen mit seiner Fähigkeit der Emotion vorbehalten bleiben — in Zukunft wohl nicht mehr.

Wenn die Maschine im Recruiting Prozess entscheidet

Bei Talanx werden Führungskräfte bereits seit 2017 mit Hilfe von Precire ausgewählt. Dabei sei vor allem die zeitliche und finanzielle Ersparnis zu Seiten der Bewerber als auch der Firma relevant: Das erste Gespräch kann schließlich von überall aus getätigt werden. Erst nach dem „OK“ der Software werden die besten Kandidaten zum persönlichen Kennenlernen eingeladen. Ob der potentielle neue Mitarbeiter auch mit seiner Art ins Team passt, kann Precire noch nicht feststellen — hat die Software jedoch genug Daten der bestehenden Belebschaft gesammelt, wäre jedoch auch das denkbar.

Ein weiterer Vorteil des Systems ist es, dass individuelle Kandidatenpräferenzen so gut wie ausgeschlossen werden: Vor der AI ist jeder Bewerber gleichwertig, sie unterscheidet nicht zwischen hübschen Augen und Vitamin B. Auch wenn die letztendliche Entscheidung auf Anstellung immer noch in den Händen der Personalabteilung liegt, können diverses Vorteile zumindest im ersten Prozess ausgeglichen werden. Das macht die Kandidatenwahl fair und transparent.

Grenzen der Analyse

Trotz bisher herausragender Ergebnisse im Recruiting Prozess sind Experten noch skeptisch gegenüber der Software. Kandidaten könnten den Prozess beeinflussen: Etwa mit einem schön vorgeschriebenen Text, anhand dessen sie von der Maschine überaus positiv eingestuft werden würden — schnell wird sich ein Markt für die Überlistung der AI bilden und Bewerber werden „perfekte“ Texte einstudieren und vortragen. Precise entgegnet, dass ein Mensch seine Sprache nur bedingt beeinflussen könne.

Laut dem Hamburger Eignungsdiagnostiker Joachim Diercks kann die Vorauswahl mit KI bereits dem Grundvertrauen der Firma gegenüber schaden. Man suggeriere dem Kandidaten mit der starken Kontrolle, dass man ihm nicht zutraue, im persönlichen Gespräch transparent zu agieren oder herkömmliche Persönlichkeitstests ehrlich zu beantworten. Weitere Experten argumentieren, dass sich trotz der Persönlichkeitsanalyse noch keine Schlüsse auf die berufliche und kulturelle Eignung ziehen lassen können — schließlich könnten persönliche Denkmuster und angewandte Arbeitsweisen nicht eins zu eins aufeinander bezogen werden. Immerhin könne auch ein emotional sehr stabiler Bewerber später im Job in der Praxis versagen.

Auswirkung von AI, KI, ML auf den Recruiting Prozess

Auswirkung von AI, KI, ML auf den Recruiting Prozess

Künstliche Intelligenzen bei der Bewerberwahl im Recruiting Prozess

Schon öfters wurden künstliche Intelligenzen in den Auswahlprozess von Bewerbern herangezogen. Etwa hatte Amazon 2018 ein KI-Tool entwickelt, dass anhand von 50.000 Schlüsselbegriffen Lebensläufe nach den besten Bewerbern sortierte. Somit wurden über das Internet potenzielle neue Mitarbeiter ausfindig gemacht und den Personalern vorgelegt. Eine gewaltige Zeitersparnis beim Auswahlverfahren — vor allem für Firmen wie Amazon, welche tausende von Bewerbungen bekommen. Das Problem kristallisierte sich relativ schnell heraus: Die künstliche Intelligenz diskriminierte Frauen. Das System verglich Kandidaten mit den Lebensläufen bestehender Amazon-Mitarbeiter der letzten zehn Jahre. Da vorwiegend Männer speziell Führungspositionen besetzten, selektierte die KI alle weiblichen Bewerber. Auch Menschen mit benachteiligtem sozialen Hintergrund wurden ausgeschlossen. Im Grunde suchte das System nach dem „typischen“ bevorzugten Mitarbeiter (männlich, weiß, katholisch) und schloss Randgruppen direkt aus.

Ob und wie gut künstliche Intelligenzen bisher tatsächlich in den Recruiting Prozess eingreifen können oder auch sollten, ist noch umstritten. Eine gewisse Richtung wird angezeigt und digitale Alternativen sind spannend. Das klassische Bewerbungsgespräch kann aber auch auf andere Arten und Weisen aufgepeppt und modelliert werden — ganz menschlich.

Spannende Alternativen zum klassischen Assessment Center

Herkömmliche Assessment Center und immer gleiche Bewerbungsgespräche sind auf Dauer langweilig — für die Bewerber als auch die Personaler. Trotzdem ist es unumgänglich, seine potenziellen Mitarbeiter vorab richtig kennenzulernen und sie nicht nur auf ihren Lebenslauf sondern auch ihre persönlichen Fertigkeiten zu testen. Zudem sollte der Recruiting Prozess vielmehr als als Vertriebsprozess wahrgenommen werden: Dem Bewerber muss die Stelle und die Arbeitgebermarke ansprechen. Weshalb nicht mal eine andere Richtung gehen und das übliche Auswahlverfahren ein bisschen aufpeppen? Hier lernst du, wie du dein Assessment Center möglichst effizient und spannend ausrichtest:

Natürlich kann man auch noch eine Version kreativer und extremer gehen: Etwa mit einem Outdoor-Assessment Center, dass zugleich vor Team-Beitritt die Kandidaten auf ihre Fähigkeiten als Teamplayer testet. Im folgenden Artikel haben wir viele kunterbunte Ideen für dich gesammelt, wie dein nächstes Testverfahren zum unvergesslichen Knüller wird — und neben einer klaren Aussage auf die persönlichen und sozialen Fähigkeiten deiner Kandidaten auch schon so richtig Lust darauf macht, Teil des Teams zu werden.